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Geborene Langweiler

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Die meisten deutschsprachigen Schriftsteller sind wahnsinnig langweilig. Glauben Sie mir, ich bin etlichen begegnet. Was aber macht eine langweilige Person aus? Die Frage scheint komplex, und man ist als abwägender Mensch natürlich sofort versucht, sie mit diversen kulturellen Einschränken zu beantworten: Das hänge von den gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen und Umständen ab und yadayadayada. Doch man könnte es ja zur Abwechslung auch mal mit einer einfachen und überzeitlichen Antwort versuchen: Wer langweilig ist, hat keine Fähigkeit zur Distanz. Zur Distanz von der Welt und ihren Phänomenen, besonders jedoch zur Distanz von sich selbst. Wir meinen hier nicht die intellektuell-reflektierende Distanz, sondern die ironisch-impulsive. Die Anlage dafür scheint angeboren. Das heisst, dass die Langweiligkeit eines Menschen nur sehr bedingt zusammenhängt mit Eigenschaften wie Intelligenz, sozialem Status oder äusserlicher Attraktivität. Auch hübsche Menschen können langweilig sein. Leider. Leider. Leider.

Die meisten Langweiler sind also mutmasslich geborene Langweiler. Dies bedeutet nun nicht, dass man die eigene Langweiligkeit als Verdikt des Schicksals hinnehmen müsste. In unserer individualistischen Erlebnisgesellschaft wird allerdings Langweiligkeit oft mit äusserlicher Konformität oder mit Müssiggang verwechselt, weshalb viele Menschen glauben, bereits dadurch interessant zu werden, dass sie sich tätowieren lassen oder die Haare drogerierot färben (was dann zur neuen Konformität wird) oder Nordic Walking betreiben. Wer jemals versucht hat, sich mit einem Nordic Walker zu unterhalten, weiss, dass es damit nicht getan ist. Auf seine Mitmenschen kurzweilig zu wirken, auch wenn man wenig natürliches Charisma hat, ist vielmehr eine Lebensaufgabe, die zuallererst verlangt, dass man einen gnadenlos nüchternen Blick für die eigene Wirkung schult. Die üblichen Reaktionen auf Langeweile in Gesellschaft sind: glasiger Blick, erratisches Zucken, verlegenes Husten, mechanisches Nicken, unterdrücktes Gähnen, gesteigerter Genussmittelkonsum und schliesslich der kaum verhüllte Fluchtversuch. Sollten Sie feststellen, dass Ihre Mitmenschen in Ihrer Anwesenheit eines oder mehrere dieser Symptome zeigen, wird es höchste Zeit, Ihren Vortrag über die Vorteile Ihres neuen Telefonanbieters sofort abzubrechen.

Immun gegen Langeweile?

Nun aber werden Sie, meine Damen und Herren, mit Recht fragen: Wie kommt es, dass es tatsächlich Menschen gibt (und zwar nicht wenige), die sich ausgiebig über die Vor- und Nachteile verschiedener Telefonanbieter unterhalten können? Auch hier ist die Antwort simpel: So wie es geborene Langweiler gibt, so gibt auch Menschen, die gegen Langeweile immun sind. Das ist nichts Gutes oder Erstrebenswertes und heisst nicht, dass diese Leute ein kurzweiliges Leben führten. Sondern, im Gegenteil, dass ihnen das Empfinden für die eigene und fremde Langweiligkeit vollkommen abgeht. So wie manche Menschen gegenüber Schmerzen unempfindlicher sind als andere, so gibt es ganz offensichtlich Charaktere, die unempfänglich sind für das Gefühl leerer Zeit, des Nichts, der Geisttötung und schauerlichen Substanzlosigkeit, welches sich mit bestimmten Personen, Situationen oder Sachen verbindet. Dieses Unvermögen scheint sogar massenhaft verbreitet zu sein. Anders lässt sich beispielsweise der Erfolg von Harry Potter, Heidi Klum oder Adolf Hitler nicht erklären.

Langweiligen Personen, sogar wenn man mit ihnen verwandt oder verheiratet ist, kann man in der Regel eher entkommen als langweiligen Situationen. Sie wissen sicher, was ich meine: der an sich tadellos freundliche Mensch von der Swisscom Glasfaser Helpline versucht, Ihnen was zu erklären, und Sie beginnen im Geiste, ein Maultier zu sehen, das an eine Pinie angebunden ist und Schmeissfliegen durch Wedeln mit dem Schweif vertreibt, und jenes Gefühl stellt sich ein: Lustlosigkeit, mangelnder Elan, Desinteresse. Nicht nur wird die Zeit Ihnen lang, sondern Sie empfinden, in den Worten des französischen Philosophen und mathematischen Wunderkindes Blaise Pascal, Ihre Preisgegebenheit, Ihre Unzulänglichkeit, Ihre Abhängigkeit und Ohnmacht. In unserem Kulturkreis ist es verpönt, in solchen Fällen sein Missfallen kundzutun, indem man zum Beispiel «Langweilig!» ruft und sich entfernt. Sowas können sich höchstens Kinder oder die Kardashians erlauben, und die gelten dann zu recht als ungezogen. Die Abhilfe besteht also hier vor allem darin, potenziell hochgradig langweilige Situationen im Voraus erkennen und meiden zu können. Die Vermeidung geht am besten durch Delegieren, was in unserem Kulturkreis zum Glück total akzeptabel ist. Heutzutage kann man sich ja bei fast allem vertreten lassen. Die Früherkennung von klassischen Langeweile-Lagen ist übrigens mit etwas Erfahrung nicht allzu schwierig: Potenziell langweilig sind vor allem Situtation, bei denen a) langweilige Personen involviert sind und/oder die b) früher schon mal langweilig waren. Dabei verschärft sich in der Regel die Langweiligkeit durch die Wiederholung.

Existenzielle Langeweile

Aber auch das Gelangweiltwerden von einem identifizierbaren Gegenstand oder Ereignis ist grundsätzlich immer noch leichter zu bewältigen als die dritte, schlimmste Variante der langen Weile, nämlich jener ohne identifizierbaren Gegenstand, der existenziellen, inneren, quasi anonymen langen Weile, die keinem bestimmten äusseren Anlass zuzuschreiben ist. Das ist diese vage Leere, wenn aus dem Grund der Seele der Ennui aufsteigt, die Schwärze, die Traurigkeit, das Phlegma, verursacht durch das nichtige Ganze der Existenz. Jene sehr missliche seelische Befindlichkeit war früher ein Privileg der oberen Zirkel der Gesellschaft, gewissermassen ein Statussymbol der Überreizung, und wird als solches bis in unsere Tage repetiert, beispielsweise durch diesen Ausdruck von Vakanz und sophistizierter langer Weile bei Kate Moss auf den Anzeigen für Dior.

Grundsätzlich haben heutzutage sehr viele Menschen mehr Freizeit als je zuvor in der Zivilisationsgeschichte, und das überbordende Angebot der Spass- und Erlebnisgesellschaft an Dekadenz und Völlerei bietet darauf nur scheinbar eine Antwort; zunächst, weil Dekadenz und Völlerei nach wie vor Geld kosten, dann vor allem aber, weil Völlerei nur selten gegen innere Leere hilft, wofür die Beispiele Legion sind, denken Sie nur an all die notorisch gelangweilten Despoten von Nero bis Ceaușescu. «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen», hat bereits Goethe festgestellt, und damit berühren wir einen heiklen Aspekt, nämlich den Zusammenhang zwischen langer Weile und menschlichem Fehlverhalten, also dem so genannten Bösen. Deutlicher als Goethen bringt es wie immer der Volksmund mit der ihm eigenen Prägnanz auf den Punkt: «Wenn’s dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis.»

Damit umschreibt der Volksmund den Sachverhalt, dass wir entwicklungsgeschichtlich auf ein Wechselbad von Anspannung und Entspannung programmiert sind (unsere Vorfahren assen oder jagten oder schliefen oder wurden gejagt); eine Balance, die in hochentwickelten Industriegesellschaften allenfalls noch künstlich hergestellt werden kann. Das gelangweilte moderne Subjekt sucht sich Stress, der zu den begehrten Adrenalinerlebnissen führt, und während das eine Subjekt aus langer Weile eventuell in philosophischer Reflexion versinkt, um den Sinn des Nichts und damit das Absolute zu erfahren, fängt das andere Subjekt möglicherweise an, mit dem Luftgewehr auf Blechdosen zu schiessen. So herrlich vielfältig ist der kultivierte Mensch! Und während gegen beide Bewältigungsstrategien, solange dabei niemand zu Schaden kommt, grundsätzlich nichts einzuwenden ist, so müssen wir doch hier noch einen abschliessenden Vorbehalt anbringen, und zwar gegen die künstlerische Betätigung aus langer Weile. Obschon nämlich Langeweile als Gegenstand der Kunst grossartig sein kann, wie man an den Werken etwa von Tschechow und Flaubert sehen kann, so ist Kunst aus langer Weile in der Regel selbst unerträglich fatigant. Ein schweizerischer Autor namens Peter Bichsel hat einmal verlauten lassen, in seiner Kindheit habe er sich immer gelangweilt. Da er nicht gut im Fussball gewesen sei (of course), habe er sich Werke der Weltliteratur aus der Stadtbücherei ausgeliehen und mit dem Lesen begonnen und dadurch die Grundlage für sein späteres Wirken als Schriftsteller gelegt. Örk. Womit wir wieder beim Anfang wären.

Der Beitrag Geborene Langweiler erschien zuerst auf Blog Magazin.


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