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Ironische Reserve: Zum Stil von Thomas Mann

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Gestern, meine Damen und Herren, hatte Thomas Mann, einer der grössten deutschsprachigen Schriftsteller, Geburtstag. Den 138. Thomas Mann und seine Familie waren sehr in Mode, nachdem Ende 2001 im deutschen Fernsehen der dreiteilige halbdokumentarische Spielfilm «Die Manns» lief. Auch in diesen Wochen wurde TM, im Zusammenhang mit dem Wagner-Jubiläum, wieder gerne zitiert. Natürlich gibt es schon lange eine regelrechte Thomas-Mann-Industrie, und spätestens seit Ablauf der Sperrfrist für Veröffentlichung seiner Tagebücher Ende der 1970er-Jahre beschäftigte der Dichter aus Lübeck mit jener «wüthenden Leidenschaft für das eigene Ich», die sein Bruder Heinrich ihm attestiert hat, als Deutungsobjekt ein rasch wachsendes, dankbares akademisches Milieu. Worüber der unstudierte Schulversager sich wohl zu wundern vorgegeben hätte. Wir kennen Thomas Mann als Familienvater, Bruder, Bürger, Homoerotiker, Konservativen, Demokraten, Emigranten, Wagnerianer, Nietzscheaner, Schopenhauerianer, Humoristen, Humanisten – kurz: als Zauberer. So nannten sie ihn zuhause, bekanntlich. Wir kennen Thomas Mann als guten Deutschen in finsteren Zeiten, als repräsentativen Demokraten und selbstdeklarierten «Unpolitischen», als Urheber des Ausspruchs «Wo ich bin, da ist die deutsche Kultur», als pathologischen Narziss und Feindbild ganz vieler nachfolgender kleiner Schriftsteller. Es gibt Untersuchungen zu Thomas Mann und seinem Verhältnis zu Frauen, Judentum, Mittelalter, Psychoanalyse und Russland, zum Beispiel. Es gibt eine Thomas-Mann-Gesellschaft in Deutschland und eine in der Schweiz, das Thomas-Mann-Jahrbuch, das Buddenbrookhaus in Lübeck, die Casa Mann in Brasilien, die Davoser Literaturtage und den so genannten Kreis der Jungen Thomas-Mann-Forscher (jung ist man hier so ungefähr bis Mitte 40). Die Benutzerstatistik des Thomas-Mann-Archivs der ETH Zürich verzeichnet Forschungsvorhaben wie «Nebenpersonen bei Thomas Mann», «Seuchendarstellungen bei Thomas Mann» oder «Jugendstilelemente bei Thomas Mann».

Die Familie Mann ist mit den Kennedys und mit den Windsors verglichen worden, und obschon dieser Vergleich natürlich hinkt, ist er ein guter Ausgangspunkt, um eine weitere Facette zu beleuchten, von der die Germanisten die Finger lassen (bis dann irgendwann Elisabeth Bronfen kommt), nämlich: War Thomas Mann eine Stil-Ikone? Stil-Ikonen sind ja eher ein popkulturelles Phänomen, obschon bereits Kleopatra eine stilprägende Persönlichkeit gewesen ist. Eine Stil-Ikone ist eine öffentliche Figur, die in Auftritt, Form und Haltung für eine bestimmte, eigene Wesensart und Ausdrucksform steht und darin beispielhaft und massgebend wirkt. In unseren herrlich beschleunigten Zeiten explodiert, wie fast jede Quantität, auch die Zahl der Stil-Ikonen. Bereits vor acht Jahren hat der Council of Fashion Designers of America das Fotomodell Kate Moss zur Stil-Ikone erklärt. Man kann Audrey Hepburn, Romy Schneider, Cary Grant, Grace Kelly, Nan Kempner, André Leon Talley, Karl Lagerfeld, Burt Reynolds, Steve McQueen und Margaret Thatcher als Stil-Ikonen betrachten. Auch Politiker kommen also für diesen Status in Frage, wenngleich selten. Und Schriftsteller? Zumal deutschsprachige? Bisher hat man nichts dergleichen gehört. Aus gutem Grund: Die meisten sehen aus wie Denis Scheck.

Der Segen der Konvention

Die dauernde Popularität von Thomas Mann ist zweifellos ein Hinweis auf Ikonen-Status. Aber wirkt sein persönlicher Stil wegweisend bis heute? Was hat Thomas Mann mit Kate Moss gemein? Mit Margaret Thatcher schon mehr: Der Dichter hat sich (fast) immer korrekt, beinahe streng gekleidet, aber niemals zu auffällig oder aus der Rolle fallend. (In den unsterblichen Worten von Mrs T: «I must never be mutton dressed as a lamb. Never.») TMs Garderobe war tendenziell von gehobener Konventionalität. Thomas Mann hat keine Mode kreiert. Das lag auch seiner Persönlichkeit völlig fern. Denn er hat sich selbst immer als ein irreguläres bürgerliches Individuum verstanden: der Lübecker Patriziersohn, der innerlich stets nur ein winziges Stück entfernt war von den «Zigeunern im grünen Wagen», die in seiner frühen, meisterhaften Erzählung «Tonio Kröger» zitiert werden als Sinnbild für Bohème und Ausschweifung. Diese Gespaltenheit zwischen Bürger und Künstler hat Thomas Mann zeitlebens als Auszeichnung und Stigma empfunden, sie ist ein Hauptmotiv seines ganzen Werks, und sie artikulierte sich äusserlich in Form und Haltung derart, dass er unbedingt bürgerlich auftrat. Bekannt ist sein Diktum, wenn es schon innerlich abenteuerlich zugehe, solle man sich wenigstens ordentlich anziehen. Und ordentlich angezogen war er immer. (Auch seine Prosa ist ja, gewissermassen, zugleich ordentlicher Anzug und inneres Abenteuer.) Das heisst: Thomas Mann setzte Geschmack und Garderobe nicht, wie viele Pseudo-Künstler, als Mittel sozialer Distinktion, sondern als Mittel der bürgerlichen Repräsentation ein. Er hielt unbedingt an Konventionen der Erscheinung fest, weil man sich schliesslich an irgendwas festhalten muss, und es ist insofern, wie so oft bei Thomas Mann, nur halber Unernst, wenn die dekadente Sieglinde Aarenhold in der (Wagner-)Novelle «Wälsungenblut» bemerkt: «Nachmittags im Smoking? Das tun doch sonst nur die Tiere.»

Ein kurzärmliges Hemd im Strandkorb auf der Kurischen Nehrung oder auf der Terrasse in Südfrankreich – das ging schon ziemlich weit. Und das Foto des Zauberers mit Zigarette im Bademantel, welches die Einladung zur Ausstellung «Das zweite Leben: Thomas Mann 1955 – 2005» im Buddenbrookhaus in Lübeck illustrierte, muss als Sensation betrachtet werden. Ansonsten war bei Thommie, den seine Frau am Anfang ihrer Ehe «Reh» nannte (und über den seine Schwiegermutter zu sagen wusste: «Er ist ein rechter Pimperling, der nicht viel verträgt») bloss der manchmal recht grosse Krawattenknoten das einzig Extravagante – allerdings sprechen wir hier auch von einer Zeit (der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts), wo Spazierstöcke, Gamaschen und Pelzkrägen für Herren durchaus nicht als flamboyant galten. Thomas Manns Kinder Klaus und Erika waren, besonders in ihrer in vielerlei Hinsicht experimentellen Phase während der Zwanzigerjahre, wesentlich exzentrischer und individualistischer gekleidet als ihr Vater. Der experimentierte immer nur innerlich. Das Pathos der Distanz äussert sich in seinen Werken, nicht in seinem Auftreten. Thomas Manns stets unerschütterliche Höflichkeit (die freilich bisweilen etwas entschieden Eisiges hatte) ist von vielen Beobachtern festgestellt worden, seine Manieren waren tadellos, der gesamte Lebensstil und -rhythmus der Familie durch seine Repräsentations- und Identifikationsbemühungen bestimmt: Die Wohnsitze waren grossbürgerlich eingerichtet, bestimmte Möbel, allen voran sein Schreibtisch, begleiteten ihn ein Leben lang. Gewisse Zugeständnisse an die Umgebung wurden gemacht: Im Haus im kalifornischen Pacific Palisades stand ein grosses amerikanisches Sofa, worauf der «Doktor Faustus» geschrieben wurde. Das Sofa kam mit nach Kilchberg am Zürichsee, den letzten Wohnsitz Thomas Manns.

Nervosität und hypochondrische Zustände

Bürgerlich war auch die Tageseinteilung des Dichters und sein Umgang mit Zeit überhaupt. Sein starrer Stundenplan und die kategorische Trennung zwischen Arbeits- und sonstiger Zeit war zum Teil eine von Thomas Mann selbst genährte Legende (er war meisterhaft darin, Legenden über sich selbst in die Welt zu setzen und, wie die meisten Ikonen, sehr beschäftigt mit seinem Image). Aber die eiserne Zeiteinteilung, die Thomas Mann an produktives Gestalten bannte, war in ihrer Unveränderlichkeit jedenfalls gewollt und angestrebt. Oft genug hat Thomas Mann autobiographisch oder auch bei Gestalten, in denen er sich spiegelte, von diesem magischen Zeitdienst gesprochen. Zu jenem unveränderlichen Rhythmus, der unter allen Umständen aufrecht erhalten werden sollte, gehörten der Tee (genauer: «Thee») und Spaziergang am Nachmittag und auch die regelmässigen Besuche beim Schneider oder der Maniküre. Thomas Mann war eitel, es war ihm durchaus nicht egal, wie er aussah (dass er sich selbst besonders schön gefunden hätte, ist hingegen nicht überliefert). Gerne zitierte er Goethe, welcher der Auffassung war, dass nur jene Leute das Gefallen an sich selbst verpönen, denen zum Gefallen an sich selbst auch nicht der mindeste Grund gegeben sei. In seinem Essay «Goethe und Tolstoi» schreibt Thomas Mann: «Offen hat Goethe sogar die gewöhnliche Eitelkeit verteidigt, durch deren Unterdrückung die Gesellschaft zugrunde gehe, und hinzugefügt, der Eitle könne nie ganz roh sein. Ist denn Selbstliebe von der Liebe zu den Menschen überhaupt zu trennen?» Die Selbstliebe zeigte sich bei Thomas Mann nicht nur in der Freude über eine gelungene Maniküre, sondern vor allem auch in der Sorge um sich selbst: Nervosität und hypochondrische Zustände durchziehen die Tagebücher, es finden sich genau Protokollierungen des Gesundheitszustandes, ausführliche Beschwerden über Magenprobleme oder den schlechten Zustand der Zähne. Schlechte Zähne sind bei Thomas Mann immer ein Sinnbild für Lebensuntüchtigkeit; Thomas Buddenbrook geht gar an einem schlimmen Zahn zugrunde, und die Lübecker Bürger finden einstimmig: Daran stirbt man doch nicht!

In dieser Befassung mit sich selbst ist Thomas Mann allerdings eher ein klassischer Narziss als ein Vorläufer des modernen Wellness-Subjektes, das in unserer heutigen kategorischen Wohlfühlgesellschaft sein Body Image zu perfektionieren sucht. Überhaupt ist Thomas Mann in vielen Belangen das Original und insofern durchaus eine Stil-Ikone. Denn auch Pflichtgefühl, die Trennung von Arbeit und Vergnügen, Höflichkeit und gute Manieren sind ja heute wieder in Mode, aber das Entscheidende ist, dass Thomas Mann all diese Qualitäten, die ja auch nicht zuletzt stilistische Qualitäten sind, aus einer inneren Haltung heraus pflegte. Es ist just diese Haltung, die Thomas Mann zum Original und zum Vorbild macht: die Haltung der ironischen Reserve, der Distanz zur Welt und zu sich selbst, der Selbstironie als schönster Form der Eigenliebe. Thomas Mann, was immer er sonst auch gewesen sein mag, war vor allem ein Ironiker, sein ganzes Leben verstand er als Spiel und Zitat in mythischer Nachfolge mächtiger Rollenvorbilder, allen voran in Nachfolge Goethes, des anderen grossen Unernsten. Das Taktgefühl des Dichters, seine Menschlichkeit, sein Sinn auch für das Banale und Abwegige, wurde bei Thomas Mann inspiriert aus einer Haltung des gepflegten Abstands einer oftmals kruden Welt gegenüber. In dieser Ironie sah Thomas Mann die vermittelnde Aufgabe des Künstlers, seine hermetisch-zauberhafte Rolle als Mittler zwischen oberer und unterer Welt, zwischen Idee und Erscheinung, Geist und Sinnlichkeit. Und in der Kategorie der Ironie ist Thomas Mann allerdings eine Ikone, eine einsam ragende Figur, an der sich mancher moderne Unglückswurm, der sich für einen Schriftsteller hält, ein Beispiel nehmen sollte, wenngleich nicht immer kann.

Der Beitrag Ironische Reserve: Zum Stil von Thomas Mann erschien zuerst auf Blog Magazin.


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