«Kunst ist die intensivste Art des Individualismus», sagte einst Oscar Wilde (wer sonst?), meine Damen und Herren, und dies galt und gilt wohl besonders für seine eigene Disziplin, die Literatur, die, wenn man so will, stoffloseste aller Kunstgattungen. Um den Typus des Literaten aber ist es folgendermassen bestellt: Der Preis, den dieser für das Vergnügen, Welt und Menschen zu durchschauen, die Überlegenheit des Ausdrucks und den Triumph des treffenden Wortes zu entrichten hat, ist – die Entfernung vom Leben. Das ist das, was der grosse deutsche Dichter Thomas Mann «Ästhetizismus» nennt: man vermag weder mitzufühlen noch zu handeln, nur zu beschreiben und zu zergliedern. Die Teilnahmslosigkeit eines «ruchlosen Aesthetizismus» – und das Grauen davor – ist ein stehendes Motiv in Thomas Manns Werk, eng verflochten mit dem Gegensatz von Kunst und Leben.
Die Entfernung vom Leben – dies ist natürlich genau die gegensätzliche Perspektive zu der des Geschäftsmannes (und vielleicht sind deshalb so viele Autoren keine guten Geschäftsmänner und umgekehrt, wenngleich es Ausnahmen gab und gibt, zum Beispiel Thomas Mann). Der Geschäftsmann nämlich steht am besten mittendrin, im Leben, in der sogenannten Wirklichkeit; zu viel Distanz und Zweifel kränkeln ihn an, wie man an Geschäftsmännern der Fiktion sehen kann, zum Beispiel an Thomas Buddenbrook. Zwischen Geschäften, also dem Reellen, und Literatur, dem Ideellen, besteht ein natürlicher Abstand, und, wie schon Goethe wusste: «Nie verwechselt man ungestraft das Ideelle mit dem Reellen.» Um den idealen Geschäftsmann aber ist es folgendermassen bestellt: Er ist fest in seinen Vorsätzen, deutlich in seinem Wollen, mit allem, was ihn umgibt, in Übereinstimmung. Sein Wesen hat nicht den geringsten Einschlag von Exzentrizität, Problematik, Dämonie, Krankhaftigkeit. Er ist gut ausgerüstet und wohl gelungen, gerade gewachsen und ungetrübt, rein, grausam und munter.
Welches Verhältnis nun können Geschäftsfrauen und Geschäftsmänner zur Literatur haben? Hier gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten. Erstens: gar keins. Das wäre der klassische Hans-Hansen-Ansatz. Hier existieren Geschäftsleute nach wie vor in ihrer Sphäre, einer Welt, wo Frohmut und Stolz herrschen, Glück, Rhythmus und Siegersinn. Tatkraft, Frische, Einfalt. Nichts zu sublimieren. – Zweite Möglichkeit: der Geschäftsmann liest, aber er liest nur Ramsch. Literatur ist Ramsch, wenn sie auf Klischees aufbaut. – Drittens aber kann es trotz allem sein, dass der Geschäftsmann sich aufgrund von Natur und Neigung zur richtigen, grossen, guten Literatur hingezogen fühlt. Dann sollte er jedenfalls die Sphären von Kunst und Geschäft streng getrennt halten, und zwar in dem Sinne, dass er nicht den Fehler machen darf, sich selbst als Künstler zu verstehen. Das Dasein als Künstler scheint allenthalben als eine der letzten verbliebenen idealen Lebensformen zu gelten; alle wollen Künstler sein, wahrscheinlich, weil der Kommerz so schlecht beleumundet ist in unseren spätmodernen Zeiten. Wir haben schon viel zu viele Leute, die sich als Künstler verstehen, heute, in unseren herrlich beschleunigten Tagen, wo Ironie von einer einst literarischen Qualität anscheinend zu einer materialistischen Massenbewegung verkommen ist, zum mehr oder weniger peinlichen Versuch, das Leben defensiv als endlose Reihe von popkulturellen Referenzen zu bewältigen. Das Leben ist mehr als das. Und mir persönlich ist ein ordentlicher Investmentbanker allemal lieber als ein mittelmässiger Schriftsteller.
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